Coaching oder Therapie?

Stehen auch Sie vor der Frage: Coaching oder Therapie?

Neben diversen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Abwertungen zwischen den beiden Schulen gibt es auch immer mehr Kollegen, die in der Integration beider Verfahren und Weltkonstruktionen Vorteile sehen. Vele Klienten beschäftigt die Frage: Coaching oder Psychotherapie? Diskursives Denken in Entscheidungsalternativen denkt oft nicht an die Möglichkeit, dass es ja auch beides geben könnte (oder etwas ganz Anderes).

Dieser Artikel beschäftigt sich mit einigen der auftauchenden Fragen und möchte Anregung sein, das eigene Anliegen besser erkennen zu können. 

Eine Frage der Abrechnung

Coaching ist meist steuerlich absetzbar. Psychotherapie kann durch Krankenkassen und -versicherungen finanziert werden, im Falle einer selbst bezahlten Therapie jedoch nur in sehr engen Grenzen steuerlich absetzbar (Stichwort: außergewöhnliche Belastungen).

Eine Frage der Verantwortung

Bei Vorliegen einer psychischen Störung mit Krankheitswert gibt es eine ethische Verpflichtung den Betroffenen einer entsprechenden Behandlung zuzuführen.

Der Versuch einer Gegenüberstellung

Im Folgenden einige klassische Unterscheidungsmerkmale zwischen den beiden Bereichen Coaching und Psychotherapie.

Coaching

Psychotherapie

Gemeinsamkeiten

Anwendung reflektierender, psychologisch wirksamer Verfahren.
Arbeitsbeziehung, die auf gegenseitigem Vertrauen und Akzeptanz ruht.
Berater ist Prozess- und Beziehungsexperte, jedoch kein Fach-Experte.
Das Verständnis der Erlebniswelt des Klienten steht im Mittelpunkt.
Bedingungsfrei wertschätzende, emphatische und kongruente Haltung des Berater.
Ziel ist erhöhte Kompetenz zur Problembewältigung durch Wahrnehmung, Flexibilisierung.

Unterschiede

Beratungsverfahren, in dem primär Probleme der Arbeitswelt thematisiert werden. Behandlungsverfahren von Störungen und Symptomen mit Krankheitswert.

Hohe Selbstmanagementfähigkeit des Klienten ist Voraussetzung.
Klient könnte auch alleine zurecht kommen, sucht jedoch Unterstützung eines Spezialisten.

Symptome, Eingeschränktes Selbstmanagement, verminderte Selbstwirksamkeit, Selbstwertproblematiken.
Klient sucht (und braucht) Unterstützung in der Lebensbewältigung.

Coach Ergänzungsfunktion für fehlende Aussenperspektive und Expertentum.

Therapeut Ersatzfunktion für nicht ausreichende oder überforderte persönliche Beziehungen.

Probleme rund um die Arbeit, Leistungsfähigkeit, Beruf, Karriere usw. Kann mit privaten Anliegen und persönlichen Schwierigkeiten zusammenhängen, Ausgangspunkt ist aber die "Berufspersönlichkeit" und die daraus entstehenden Anliegen. Konflikte und Störungen, die mit Liebe, Ehe, Sexualität, Familienbeziehungen, Freundschaft, Liebe zu sich selbst bzw. mit dem Selbstwertgefühl zu tun haben (einschließlich der somatisierten Ausdrucksformen solcher Konflikte).
Aktuelle, überschaubare und benennbare Themen und Konflikte. Konflikte teils unbewusst - werden erarbeitet.
Klare, explizite Ziel- und Auftragsbestimmung. Komplexe, teils globale Problem- und Zielräume.
Geringe bis mittlere emotionale Tiefe. Keine Begrenzung.
Regelmäßige Überprüfung der Zielannäherung. Fokussierung auf Teilbereiche der Persönlichkeit. Zielannäherung auch durch weiche Faktoren - Befindlichkeit, Symptome ...
Kurz- bis mittelfristige Prozesse. Eher mittel- und langfristige Prozesse. Möglichkeit der ursachenorientierten Analyse möglich.
Primär zukunftsorientiert. Neben der Lösungsorientierung liegt auch die Bearbeitung vergangener Themen und Erlebnisse im Fokus, insofern diese im aktuellen Leben Hindernisse darstellen.
Coaching zielt auf Leistungsoptimierung und –steigerung. Psychotherapie zielt auf die Linderung von Leid.
Personalentwicklung betrifft die Person in ihren Arbeitsbezügen, also in ihren Rollen und Funktionen innerhalb einer Arbeitsorganisation mit dem Ziel einer größtmöglichen Arbeitseffektivität. Persönlichkeitsentwicklung betrifft die Person in ihrem Lebensganzen mit allen intimen, offenen und verdeckten, bewussten und unbewussten Erlebnisanteilen mit dem Ziel einer größtmöglichen Gesundung und Reifung der Persönlichkeit.
Die Welt des Handelns steht im Mittelpunkt. Das In-der-Welt-Sein steht im Mittelpunkt.
Oftmals „Einstieg“ in die Welt der Beratung - wer zum Coach geht, zählt zu den Erfolgreichen - Einstiegsbarriere deutlich niedriger. Zum Arzt wegen körperlicher Gebrechen zu gehen ist für alle normal. Der Psychotherapie haftet gesellschaftlich immer noch ein Stigma an – wer zum Therapeuten sieht sich selbst als krank und hilfsbedürftig - davor schrecken viele zurück.
Setzt Fach- und Businesswissen beim Coach voraus. (Unternehmenswelten, Organisationen, betriebswirtschaftliches Know-How). Setzt fachliches Wissen über Psychodynamik, Störungen, Entwicklungspsychologie voraus.
Stellt sich im Coaching heraus, dass ein Klient therapiebedürftig ist, so muss der verantwortungsvolle Coach an entsprechende Stellen weiter verweisen. Fehlen dem Therapeuten eigene Erfahrungen in der Unternehmens- und Businesswelt, so können manche Themen für Ihn schwer zu erfassen sein.
Mangelndes psychotherapiespezifisches Fachwissen kann essenzielle Konflikte übergehen (u.U. mittel- bis langfristige Folgen bei kurzfristiger Verbesserung). Durch „Psychologisierung“ und Konzentration auf intrapersonelle und interaktionelle Aspekte können Konflikte auf institutioneller Ebene „übersehen“ werden – die Entwicklung der Organisation kann auf der Strecke bleiben.

Art und Schwere der Betroffenheit (Symptome) entscheidend

Letztendlich entscheidet die Art und Schwere der Betroffenheit bezüglich bestimmter Lebensumstände über Coaching oder Psychotherapie.

Erläuternd hierzu: Stellen wir uns eine auslösende Situation vor. Die Schließung der eigenen Abteilung im Betrieb. Anstehende Entlassung oder interne Versetzung.

Ein Betroffener sieht in der anstehenden Veränderung eine Aufforderung und Chance für weitere Entwicklung. Relativ entspannt möchte er sich Gedanken über seine berufliche Zukunft Gedanken machen und sucht dazu einen kompetenten Ansprechpartner. Hier wäre ein Coaching völlig ausreichend.

Die gleiche Situation kann sich einen anderen Menschen völlig anders darstellen. Die anstehende Schließung z.B. gleichbedeutend mit dem "Ende der Welt" verarbeitet werden. Jahre engagierter Arbeit stehen "vor dem Abgrund", Symptome entwickeln sich, Existenzängste und ständiges Grübeln, evt. sogar Schlafprobleme stellen sich ein. Die Betroffenheit ist ungleich höher und wahrscheinlich wäre hier eine psychotherapeutische Behandlung angemessen.

Am Wichtigsten für Ihre Entscheidung ist Ihr Gegenüber!
Sowohl Coaching als auch Psychotherapie sind Verfahren, die in Beziehung stattfinden.
Überall dort, wo Sie eine qualitativ "andere" Beziehung zu einem Menschen eingehen, wird Veränderung angestossen.