Einer will immer mehr

Anstoss: Egal, wo wir hinschauen: Einer will immer mehr.

Einer will immer mehr - über Verlangen und Wollen in der Partnerschaft

Wie Menschen mit Verlangen und Wollen umgehen

Menschen gehen ganz unterschiedlich mit ihrem Verlangen und Wollen um.

"Wenn mein Partner glücklich ist, dann bin ich das auch"

Auf der einen Seite finden wir Menschen, die dazu neigen ihr eigenes Verlangen und Wollen tendenziell zurückzustellen. Die kaum in der Lage sind, ihre Wünsche zu äußern. Sie haben gelernt (sind fälschlicherweise der Überzeugung), dass sie nicht wollen dürfen, ihr Wollen sowieso nicht berücksichtigt wird. Entsprechend haben sie auch aufgehört, ihr Wollen zu äußern - teilweise haben sie sogar verlernt, ihr Wollen überhaupt zu spüren. Wenn man sie fragt, was sie in ihrer Beziehung glücklich macht, dann hören wir Sätze wie: "wenn mein Partner glücklich ist, dann bin ich das auch"

"Ich wäre glücklich, wenn Du ..."

Auf der anderen Seite Menschen, die sich ihrer Wünsche und Bedürfnisse so sicher sind, dass sie diese auch ohne Umschweife zwar gut äußern können,  ihre Wünsche aber die Form von Erwartungen, Forderungen und Bedingungen einnehmen. "Wenn Du nicht ..., dann ...." Dies kann Formen einnehmen, wo auch genau "gewusst" wird, was der Partner genau tun müsse, um diese Wünsche zu erfüllen. Das lässt dann dem Partner nur noch sehr wenig Platz für Autonomie und eigene Entscheidung ob und wie das Wollen des Partners erfüllt wird.

Wann spielt dies in Partnerschaften eine wichtige Rolle?

In Paarbeziehungen wird dieses Thema immer dann wichtig, wenn darum Konflikte entstehen. Wenn einer was will, was der Andere nicht will. Oder wenn einer gar nicht mehr sagt, was er will. Wenn nur noch einer "was will": Auch in der Paartherapie Bonn habe ich schon viele Paare dabei begleitet, ihren Umgang mit der Dynamik: "einer will immer mehr" zu erkennen und zu einem Besseren zu führen.

Sexuelles Verlangen und Wollen

Am offensichtlichsten und nachvollziehbarsten ist die Dynamik für fast Jeden, wenn wir auf Partnerschaftsdynamiken im Umgang mit sexuellen Verlangen schauen. Unabhängig von Zeit, Kultur und persönlicher Entwicklung gilt scheinbar universell: es gibt immer einen Partner mit dem stärkeren Verlangen und einen mit dem schwächeren Verlangen.

Einer will immer mehr - und das ist Gesund so!

Daran ist nichts krank, pathologisch oder eventuell ein Zeichen dafür, dass mit ihrer Beziehung etwas nicht stimmt. Einer ist verlangensstärker, einer ist verlangensschwächer. Dabei ist es nicht so, dass die beiden Positionen dauerhaft vergeben sind. Vielmehr wechseln Paare diese beiden Positionen – je nachdem, um welches Thema oder um welche Entscheidung es geht.

Stärker und schwächer ist dabei immer in Relation zu sehen, es gibt keine absoluten Normwerte für die Ausprägung eines bestimmten Verlangens. Erst in Beziehung (Relation) kommt Dynamik in die Geschichte.

Sehr viele Paarkonflikte drehen sich um dieses „mehr oder weniger“. Oft wird zunächst versucht, den Partner und sein anders geartetes Verlangen zu pathologisieren und in kausalen Zusammenhang mit dem eigenen Unzufrieden-Sein zu stellen.

Der verlangensstärkere Partner unterstellt dem verlangenschwächeren Partner dann z.B. „Du willst ja nur nicht öfter mit mir schlafen, weil Du soviel arbeitest“. Gerne wird auch mit einem eigenen Verlangen gekontert: „wenn Du öfter über Deine Gefühle reden würdest, dann würde ich auch öfter mit Dir schlafen wollen.“

Die Natur von Beziehungen

Eine salutogenetische Sichtweise auf diese universelle Beziehungsdynamik würde daraus aber kein Problem machen wollen, sondern als natürliche Dynamik von Beziehungen verstehen, welche immer wieder Antrieb für Veränderung und Wachstum darstellt.

Es ist nicht der Partner, der ein Problem verursacht, indem er etwas Anderes möchte. Es ist die Natur von Beziehungen, dass diese Phänomene immer wieder auftreten. Und es ist unser eigener Umgang damit, der zu Problemen führen kann.

Naturgesetze versuchen wir auch nicht zu ändern – wir versuchen uns ihnen anzupassen.

Uns selbst können wir ändern. Oftmals zwar nur schrittweise – aber es ist möglich.

Allzu gerne vergessen wir auch, dass diese Polarität mit Ursache war, warum wir gerade diesen Partner ausgesucht haben.

Unsere Vorstellungen von Partnerschaft und Beziehung

Es gibt ein paar Vorstellungen über Partnerschaften, die implizit unser Verhalten und Erleben stark beeinflussen. Drei dieser Vorstellungen möchte ich hier nennen ...

1. Die Vorstellung, dauerhaft einen Zustand in der Beziehung erreichen zu können, indem die Wünsche beider Partner übereinstimmen.

2. Die Vorstellung, selbst so gut zu sein, dass man in der Lage ist, jegliches Wollen des Partners befriedigen zu können.

3. Die Vorstellung, der Partner sei dafür zuständig, das eigene Verlagen zu stillen.

... und sie einladen, für Sich Selbst zu überprüfen, ob Sie diese Vorstellungen vielleicht auch haben oder impliziet hegen. Falls ja, dann lade ich zu einem Experiment ein: Schauen Sie doch beim nächsten Mal, wenn es mit Ihren Partner um irgendetwas geht, was einer von Ihnen beiden möchte, der andere jedoch nicht, welche dieser drei Vorstellungen einen Einfluss darauf hat, wie sie damit umgehen.

Quellenangaben

Photo by Priscilla Du Preez on Unsplash

Inspirationen

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Wollen hat ihre tiefen Wurzeln in der Psychotherapie - über alle Schulen hinweg. Für diesen Artikel hatte mich ursprünglich das Buch von David Schnarch, "Intimität und Verlangen" inspiriert. In der weiteren Folge fanden eigene Ergänzungen, sowie Erfahrungen mit Klienten, und Austausch mit Fachkollegen ihren Eingang in diesen Artikel.